Wo sind die Mäzene?

Tagesspiegel, 15.10.2005

»Wer reich stirbt, stirbt in Schande«

Warum die Deutschen noch kein Mäzenatentum wie in den Vereinigten Staaten entwickelt haben.

Sein Leben lang scheffelte er mit rücksichtlosen Methoden Geld und wurde zu einem der reichsten Amerikaner seiner Zeit. Dann verkaufte Andrew Carnegie im Jahr 1901 sein Stahlimperium, wandelte sich zum überzeugten Wohltäter und ließ im ganzen Land über 2500 Bibliotheken errichten. „Wer reich stirbt, stirbt in Schande“, verkündete der Multimillionär – und er folgte diesem Credo. Der Stahlbaron wurde der erste große Philanthrop der Vereinigten Staaten, und ihm sind seither viele reiche Bürger gefolgt. In allen Städten und Gemeinden der USA halten die Namen von Museen, Schulen Konzerthallen oder Krankenhausflügel die Erinnerung an großzügige Spender wach. An deren Spitze steht derzeit Bill Gates. Der Microsoft-Gründer hat bisher 31,5 Milliarden US-Dollar aus seinem Privatvermögen an die „Bill und Melinda Gates Stiftung“ überwiesen, jährlich kommen einige Milliarden Dollar hinzu. 

Eine selbstverständliche Philanthropie, wie sie in den USA existiert, ist in Deutschland nicht zu finden. Es gibt zwar auch hierzulande großzügige Stifter und Mäzene – sie sind aber nach wie vor die Ausnahme, und nicht die Norm. Philanthropie hat sich als gesellschaftliches Konzept in Europa nicht durchgesetzt, sagt der Berliner Wissenschaftler Thomas W. Gaehtgens. Wo der amerikanische Philanthrop mit seinen oft millionenschweren Spenden seiner gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommt, gibt der Deutsche nur dann, wenn und wann er oder sie es für richtig erachtet. 

Dabei war Philanthropie auch in Deutschland einmal fester Bestandteil der bürgerlichen Kultur. Zu Ende des 19. Jahrhunderts, im vor nationalem Selbstbewusstsein strotzenden jungen deutschen Reich, blühte das bürgerliche Engagement für Kultur und Wissenschaft. Viele heute staatliche Museen, Kunstgalerien und auch wissenschaftlichen Institute gehen auf private Initiative zurück. Jüdische Philanthropen machten im wilhelminischen Deutschland die Mehrzahl der Spender aus. Louise von Rothschild stiftete in Frankfurt eine Bibliothek und eine Zahnklinik, der Bankier Georg Speyer Lehrstühle, wissenschaftliche Einrichtungen und Labors, auch die Gründung der Frankfurter Universität wurde durch jüdische Mäzene ermöglicht. Die meisten Namen sind heute vergessen. 

Mit der Wende zum 20. Jahrhundert löste der Staat zunehmend die bürgerliche philanthropische Tradition ab. Der erste Weltkrieg hatte dem Nationalstolz einen empfindlichen Dämpfer verpasst. Die politische Instabilität der Weimarer Republik tat ihr übriges. Das Engagement des Bürgertums ebbte ab, vielerorts sprang der Staat in die Finanzierungslücken ein. Unter der nationalsozialistischen Diktatur wurden die großzügigen jüdischen Stifter dann später aus dem Land getrieben oder in Konzentrationslagern vergast. Von dieser Zäsur hat sich die deutsche Philanthropie bis heute nicht erholt. Jenseits des Atlantiks wurden sie hingegen zum gesellschaftsgestaltenden Faktor. 

Doch warum hat sich in Deutschlands Nachkriegsgesellschaft nicht eine ähnliche philanthropische Verantwortung der reichen Oberschicht für ihre Gesellschaft entwickelt wie in den USA? Wohl auch, weil deren Engagement hierzulande weder gesellschaftlich eingefordert noch anerkannt wird. Anders als in den USA sind große Vermögen und Einkünfte in Deutschland nicht Anlass für Bewunderung, sondern für Misstrauen und Neid. Aus eben diesem Grund wagen sich viele Vermögende gar nicht an die Öffentlichkeit. Marita Haibach, profilierte Fundraiserin und Autorin, stellt fest: „Wer sich als vermögend outet, muss mit Schimpf, Schmäh und Neid fürchten. Doch vermögende Menschen, die sich verstecken (müssen), nützen der Gesellschaft wenig.“ 

Wer sich hierzulande engagiert, muss vielmehr damit rechnen, unlautere Motive unterstellt zu bekommen. Diese Erfahrung machte auch der Rennfahrer und Multimillionär Michael Schumacher. Nachdem er Ende 2004 zehn Millionen Euro für die Tsunami-Opfer gespendet hatte, kritisierten ihn in der Umfrage einer Formel-1-website 37 Prozent der Befragten. Schumacher wolle sich nur profilieren oder „die Spende sei für ihn ein Klacks“, so die häufigsten Einwände. Hier entsteht ein fataler Kreislauf: Je missgünstiger das Klima gegenüber Wohlhabenden, desto stärker werden diese sich aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zurückziehen. Zumal dieser Rückzug, dieses Unsichtbar-Machen als Millionär oder Milliardär hierzulande durchaus möglich ist – ohne dass der gemeine Bürger oder auch die Elite selbst daran Anstoß nähme. Was weiß die deutsche Öffentlichkeit beispielsweise schon vom Engagement oder Nicht-Engagement Deutschlands reichster Männer, der Gebrüder Albrecht, die zweistellige Milliardenbeträge mit den Aldi-Märkten erwirtschaftet haben. Sie selber schweigen sich auf Nachfrage aus. Ebenso interessant ist aber, dass die Gesellschaft auch keine Erwartungen an sie richtet. Ganz im Gegenteil. Aldi zählt neben Porsche zu den beliebtesten Unternehmen Deutschlands. 

Microsoft-Gründer Bill Gates hat da ganz andere Erfahrungen gemacht. Sein Ruf litt auch wegen seiner skrupellosen Geschäftsmethoden in den neunziger Jahren – bis er seine milliardenschwere Stiftung gründete. Bill Gates rettete sein Ansehen, er reagierte aber auch auf eine gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber Wohlhabenden, die hierzulande nicht existiert. Etliche vermögende Deutsche, so ist anzunehmen, sind darüber sicher nicht traurig. Nicht in jedem Reichen steckt vermutlich ein durch Neid und Missgunst verhinderter Philanthrop. Viele versuchen, ihr Nicht-Engagement mit den angeblich so hohen Steuersätzen in Deutschland zu rechtfertigen. Und je höher die Belastung für die sogenannten Besserverdiener ist, desto überzeugender klingt in der Tat ihre Argumentation, die besagt, man tue schließlich schon genug für den Staat. 

Taugen die USA überhaupt als Vorbild? Die Frage ist insofern berechtigt, als die Engagementkultur beider Länder eine ganz eigene Geschichte hat, mit spezifischen nationalen, religiösen und politischen Hintergründen. Man kann nicht nach amerikanischem Vorbild den eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Bürger und den großzügigen Philanthropen fordern, ohne zugleich darüber zu reflektieren, in welchem gesellschaftlichen Kontext dieser agiert. Die puritanischen Wurzeln der ersten Einwanderer sind in den USA noch immer prägend und präsent. Hier gründet das tiefe Misstrauen gegenüber dem Staat ebenso wie der Glaube an die Selbsthilfe und den Wert der eigenen Tüchtigkeit. Die amerikanische Gesellschaft hat von jeher auf Selbsthilfe und Eigeninitiative basiert. Sie sind Teil des nationalen Gens. Deutschlands Weg der Bürokratisierung und einer frühen Begründung der Sozialversicherung durch Bismarck verlief da gänzlich anders. Und noch heute beschützt und bevormundet der deutsche Staat seine Bürger dort, wo der amerikanische Freiräume, auch für den freien Fall nach unten lässt. 

Dem bürgerschaftlichen Einsatz fehlen in Deutschland die zivilgesellschaftlichen Wurzeln und die Gestaltungsfreiräume, das gilt auch für das Engagement des Durchschnittsbürgers. Zwar sind laut dem jüngsten Freiwilligensurvey rund 22 Millionen Bundesbürger in Vereinen, in Nicht-Regierungsorganisationen wie Greenpeace oder Amnesty, in Nachbarschaftskreisen und Schulinitiativen aktiv. Das ihr Engagement ist – anders als in den USA – häufig privat. Es wird weder öffentlich zur Schau getragen noch von der Öffentlichkeit wertgeschätzt. Dabei würde eine gesellschaftliche Anerkennungskultur sicher mehr als eine kürzlich verbesserte Unfallversicherung von Ehrenamtlichen den Menschen Anreiz bieten, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. In die
sem Punkt können die USA tatsächlich als Vorbild dienen. Wer sich dort engagiert, erhält nicht nur einen dankbaren Schlag auf die Schulter und ein aufrichtiges „Thank You“ (selbst das gibt es in Deutschland meist nicht) – Engagement wird in der amerikanischen Gesellschaft in vielfältigster Weise anerkannt und belohnt. Universitäten und Arbeitgeber ziehen in ihren Entscheidungen für Bewerber immer auch deren bürgerschaftlichen Einsatz mit in ihre Entscheidung ein – ja ohne diese bleiben viele Türen schlicht verschlossen. 

Hinzu kommt, dass das klassische deutsche Ehrenamt sich erst langsam aus seinen staatstragenden Strukturen befreit und eigenverantwortlicher wird. Ein schwieriger Prozess: Der deutsche Verwaltungs- und Bürokratenstaat hat seinem Volk im vergangenen Jahrhundert die Lust am selbstgesteuerten Engagement ausgetrieben – durch Bürokratisierung und Regelungen. So haben im karitativen Bereich Großverbände die bürgerliche Selbstorganisation verdrängt. 1897 wurde der Caritasverband gegründet, 1919 die Arbeiterwohlfahrt, 1921 das Deutsche Rote Kreuz – sie machten das private soziale Engagement der Bürger weitgehend überflüssig. Er und noch öfter sie wurde im freiwilligen Engagement zum Befehlsempfänger in einer Staats- und Verbändebürokratie, eine Rolle, die bis heute nachwirkt. Bürgerschaftliches Engagement springt da ein, wo der Staat Lücken in der Versorgung aufweist, und stabilisiert ihn dadurch zugleich. Erst langsam, mit den Folgen der 68er Bewegung, bildete sich parallel ein Bürgerengagement heraus, das eigene Ziele (beispielsweise im politischen oder im Umweltbereich) verfolgte und sich bewusst gegen staatliche Strukturen stellte. 

Dieses neue Bürgerverständnis – das sich jenem in den USA annähert – kann natürlich nicht ohne Einfluss auf das Verhältnis von Staat und Bürger bleiben. Wo dieser sich einmischt und mitmischen will, wo er oder sie zivilgesellschaftliche Verantwortung übernehmen will, da muss der Staat Platz machen. Doch der drückt seine Fürsorglichkeit im Einsteinjahr mit einem Spruch des Genies am Berliner Kanzleramt aus: „Der Staat ist für die Menschen da und nicht die Menschen für den Staat.“ Da ist wieder, der behütende Vater Staat, er kann einfach nicht aus seiner Haut.