Große Geister

Sal Oppenheim Magazin 219 plus, 2008

Eine Galerie der großen Geister

Weder weltfremd noch unnahbar – der Berliner Fotograf Peter Badge hat 307 Nobelpreisträger portraitiert

Sie sind genial. Sie forschen mit ungeheurer Ausdauer an den großen Fragen des Lebens, die außer ihnen nur wenige verstehen. Sie haben dafür die höchsten Ehrungen erhalten – aber eigentlich, „eigentlich sind das ganz normale Menschen“, sagt Peter Badge. Er muss es wissen. Der 1974 geborene Fotograf ist wohl der einzige Mensch auf der Welt, der 307 und damit fast alle lebenden Nobelpreisträger auf diesem Globus persönlich getroffen hat.

Seit dem Jahr 2000 fliegt der Berliner kreuz und quer durch die Welt, um die Laureaten zu fotografieren. Im August werden seine Schwarz-Weiß Portraits in einer hochwertigen Coffee-Table Ausgabe erscheinen. Es ist eine Hommage an den Olymp der Wissenschaft – und zugleich der Versuch, die Götter von ihren Sockeln zu holen. Nicht etwas, um an ihrer Aura zu kratzen, sondern um ihren Ruf zu mehren und sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Laureaten-Treffen am Bodensee

Dass Laureaten weder weltfremd noch unnahbar sind, lässt sich Jahr für Jahr am Bodensee beim Lindauer Nobelpreisträgertreffen beobachten. Hier machte Badge seine ersten Aufnahmen. Seit 58 Jahren schon kommen Nobelpreisträger aus aller Welt in die landschaftliche Idylle, um sich dort in zwangloser Atmosphäre mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs auszutauschen. Im Wechsel debattieren dort im Sommer Nobelpreisträger der Physik, Chemie, Medizin oder Physiologie mit über 500 jungen Forschern aus Dutzenden Ländern. Seit einigen Jahren treffen sich auch die Wirtschaftswissenschaftler alle zwei Jahre am Bodensee.

Teilnehmer schwärmen von der einzigartigen Stimmung. „Die Forscher sind glücklich aus ihrem Mythos heraustreten zu können“, sagt Professor Wolfgang Schürer, Vorstandsvorsitzender der Lindauer Stiftung Nobelpreisträgertreffen. 183 Nobelpreisträger gehören mittlerweile der Stifterversammlung an.Viel mehr könnten es gar nicht sein, denn von den rund 300 lebenden Laureaten nehmen jene mit dem Friedens- und Literaturnobelpreis Geehrten an den auf die Naturwissenschaften fokussierten Treffen gar nicht teil.

„Offene, der Welt zugewandte Menschen“

Für Peter Badge bot das Lindauer Treffen im Jahr 2000 die einzigartige Gelegenheit, 50 Nobelpreisträgern an einem Ort zu begegnen. Eigentlich kam der junge Fotograf damals im Auftrag des Deutschen Museums in Bonn und des Smithsonian Institute in Washington an den See. Er sollte anlässlich des anstehenden 100. Geburtstag des Nobelpreises die anwesenden Preisträger fotografieren. Peter Badge machte seine ersten Portraits und war sofort von der Welt der Laureaten begeistert: „Die haben mit jedem Klischee, das ich von Wissenschaftlern hatte, total aufgeräumt. Das sind weltoffene, humorvolle, der Welt sehr zugewandte und nicht auf ihr Fach beschränkte Menschen“, sagt er. Mit dem 1914 geborenen Charles Towns, der 1964 den Nobelpreis für Physik erhielt, redete Badge über die aktuellen Charts, das Kinoprogramm und das Internet. Mit anderen ging er schwimmen und Tennis spielen. „Ich fand die einfach großartig“, erinnert er sich.

Dabei und den 50 Portraits wäre es wahrscheinlich geblieben, wäre nicht Nikolaus Turner ins Spiel gekommen. Der war damals Kuratoriumsmitglied der Lindauer Stiftung und so von Badges Aufnahmen begeistert, dass in ihm, wie er lachend eingesteht, „der Jäger und Sammler erwachte“. „Wir haben die Bilder gesehen und gesagt: Das muss man weiter machen, und zwar mit allen lebenden Preisträgern.“ 2002 übernahmen die Lindauer die Federführung des Projekts, finanziert durch die Klaus-Tschira-Stiftung des SAP-Gründers und organisiert durch Nikolaus Turner, der hauptberuflich eine kleine Stiftung leitet und mittlerweile Schatzmeister der Lindauer Stiftung ist. Ohne ihn, so sagen Schürer und Badge einmütig, würde es das Projekt Nobelpreisträgeportraits nicht geben. Turner war es auch, der vorschlug, die Friedens- und Literaturnobelpreisträger ebenfalls in das Buch aufzunehmen.

Gartenarbeit mit dem Laureaten

Seit nunmehr fast acht Jahren wächst die Sammlung, nun ist sie fast komplett und im August erfüllt sich mit dem opulenten Coffee-Table-Book Nikolaus Turners großer Traum: „Wir können damit die Idee der Lindauer Treffen wunderbar in die Welt tragen“, sagt der Jurist. „Viele der Laureaten sind zu Unrecht in Vergessenheit geraten“, fügt er hinzu. Das Buchprojekt soll auch ein Dankeschön an und eine Verbeugung vor den mittlerweile großen Unbekannten und ihrer Leistung sein.

Dass dies so eindrücklich gelingt, liegt wohl auch an Peter Badges Begabung. Es scheint, es legten die Laureaten jede Scheu und jedes Misstrauen ab, wenn der zurückhaltende Berliner auf den Auslöser drückt. Offen und nahbar blicken die Preisträger in die Kamera.

Was könnte dieses Vertrauen besser symbolisieren als beispielsweise das Bild eines Edmond Fischer, der sich in alten Short und T-Shirt, umrahmt von zwei großen Hunden auf seiner Insel bei Seattle vor die Kamera setzt. „Ich hole dich von der Fähre ab. Ich bin der Typ mit dem Washington-T-Shirt“, hatte er zu Badge am Telefon gesagt. Der blieb gleich mehrere Tage, half im Garten und führte lange Gespräche mit Fischer.

Die Kamera wird zur Nebensache 

Dort, wo die Laureaten sich zu Hause fühlen, entstehen häufig die besten Bilder. „In ihrem Umfeld lassen sie sich schneller fallen und für mich ist es einfacher, zu sehen wie sie leben und etwas über sie zu erfahren“, erzählt der Fotograf. Hans Dehmelt, Physikpreisträger 1989, lag komplett nackt am Pool, als er ihn besuchte. „Warum wollen Sie denn alte Männer fotografieren?“ fragte er Badge scherzhaft. Der wiederum fing ihn mit nacktem Oberkörper und Sonnenhut entspannt am Pool ein. „Die Kamera muss zur Nebensache werden“, sagt Badge. Er reist ohne große Ausrüstung, nur eine Nikon F4 ohne Stativ, keine künstliche Beleuchtung, zwei hochempfindliche Filme, ein 50 und ein 85 MM Objektiv, das reicht. Wichtiger ist das Gespräch, aus dem heraus sich die Bilder entwickeln und das Gespür für den richtigen Moment.

Ein Weckruf mitten in der Nacht

Besonders beeindruckt war der Fotograf von John Forbes Nash. Als der Mathematiker 1994 den Nobelpreis für seine Spieltheorie erhielt, lag bereits ein langer Leidensweg hinter ihm. Nash, dessen Geschichte die Vorlage für den Hollywood Film „A beautiful mind“ bot, war mit 30 Jahren an Schizophrenie erkrankt und erholte sich erst in den neunziger Jahren. „Er rief mich mitten in der Nacht vor meinem Abflug an um mir mitzuteilen, dass es nach seiner Zeitrechnung bei mir nun drei Uhr morgens sein müsse“, erinnert sich Badge lachend. Einige Stunden später erhielt der Fotograf eine lange Mail: „Darin beschrieb Nash ausführlich die Wahrscheinlichkeiten, dass wir auf dem Weg zu unseren Treffen im gleichen Zug sitzen.“ Die Zeit mit Nash beschreibt Badge als „wunderbare Erfahrung“.

Das Buch hat eine letzte Seite, der Nobelpreis vorerst nicht. Im Winter werden die nächsten Preisträger bekannt gegeben und Peter Badge wird wieder mit seiner Kamera nach Stockholm fliegen, um Kontakt zu den neuen Laureaten zu knüpfen. „Wir machen weiter“, sagt Nikolaus Turner, der Jäger und Sammler. Und vielleicht wird Peter Badge irgendwann auch noch die Chance bekommen, die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zu treffen. Sie sitzt seit 1989 unter Hausarrest der burmesischen Militärregierung. Badge musste sich mit einem Umweg behelfen: In dem Laureaten-Buch steht das Bild der Demokratin auf dem Schreibtisch eines ihrer großen Unterstützer, des Präsidenten von Osttimor, José Ramos-Horta.